ANA1-32 Tetris Halle

ANA1
Kategorie: Story Autor: ANirgends

Als Igor endlich wieder die Kapuze abgenommen wurde, atmete er erst einmal tief durch. Die Luft war etwas stickig und roch modrig. Iwan, Tulcinea, Marjeka und Igor standen in einem durch ein paar einfache Glühlampen beleuchteten Korridor mit, alten, ungepflegten Wänden. Auf dem Boden lagen heruntergefallener Wandverputz und einige modrige Holzteile. Ein Stück entfernt sah Igor ein noch ein bisschen pelziges Skelett einer Ratte. Nicht sehr einladend dachte er und zog ein wenig schaudernd die Schultern hoch.
„Willkommen in der Tetris-Halle“ Iwan sah abwechselnd Igor und Marjeka an und wartete auf so etwas wie Freude.
„Ihr seid jetzt bei uns.“ Was immer er damit meinte, es erzeugte keine sichtbare Wirkung bei den Angesprochenen.
„Warum habt ihr Marjeka eigentlich mitgenommen? Sperrt ihr sie jetzt ein, oder was?“ Igor dachte pragmatisch und wollte jetzt Fakten hören.
„Ohne unseren Timeshuttle kommt niemand zur Erde zurück. Und hier auf Arca-Nihil ist Marjeka sicherlich besser aufgehoben, als am Meeresgrund.“ Tulcinea redete ein wenig schnippisch. „Habe ich dir das nicht schon mal gesagt? Und wo wir gerade dabei sind – meine Geschichte bezüglich der etwaigen Löschung Deines Gedächtnisses und dich dann auf der Erde zurück zu lassen. Das war erfunden.“
„Ihr habt also ohnehin vorgehabt mich mitzunehmen?“
„Ab dem Zeitpunkt, wo du zu viel wusstest, gab es eigentlich kein Zurück mehr für dich. Wir mussten nur sicherstellen, dass du uns nicht entkommst. Auf der Erde bleiben war tatsächlich keine Option mehr für dich.“
„Jetzt sind wir also Entführte von Außerirdischen und werden ein trostloses Leben auf einem fremden, unwirklichen Planeten führen.“ Igor hatte sich eine theatralische Grimmasse schneidend an Marjeka gewandt.
Marjeka schnaubte humorlos und sagte nach wie vor kein Wort mehr als unbedingt notwendig. Sie hatte ihre Entführung und die damit einhergehende Entwurzelung keinen Augenblick gewollt und war nicht bereit auf irgendeine Art und Weise zu kooperieren. Igor sah das anders. Er war neugierig auf das, was da kommen würde und hoffte auf eine interessante und abwechslungsreiche Fortführung seines Lebens.
„Besteht eure Welt nur aus alten, verstaubten Korridoren, oder gibt es da noch etwas anderes zu sehen?“ wandte er sich wieder an Tulcinea.
„Folgt mir. Wir gehen auf das Dach!“
Die Vierergruppe ging den Korridor entlang, welcher mehrmals nicht rechtwinkelig die Richtung änderte, vorbei an kaputten Türen, die meist in dunkle, leer wirkende Räume führten und vorbei an intakten Türen, welche teils aus Holz, teils aus Metall waren. Als die schwache Beleuchtung endete, behalf man sich mit einer Öllaterne und ging durch dunkle noch trostlosere Korridore weiter. Nach etwa zehn Minuten gelangte die Gruppe in einen kleinen Raum mit einer rostigen Eisenleiter. Diese führte zu einer schweren Klappe an der Decke, welche von Iwan geöffnet wurde. Sie alle kletterten dort auf das flache Dach hinaus.
Das Gebäude auf dessen Dach sie sich nun befanden – vermutlich nach wie vor die Tetris-Halle - war von hier aus betrachtet eine große Fläche, welche an einigen Stellen in 20 bis 50 Meter Entfernung endete und keine klaren Konturen aufzuweisen schien. Auf dem flachen Dach wuchsen auch einige Bäume und Sträucher, hauptsächlich war es aber eine moosige Ebene. Eingebettet war alles in einen Urwald, der auf allen Seiten dicht an das Dach der Tetris-Halle heranreichte. Der Urwald war laut. Man hörte Gekreische, Gesurre und Gezirpe, Gebrüll und noch andere unerklärliche Laute. Es war mitten in der Nacht. Allerdings recht hell, weil, ja weil zwei Monde am Himmel standen und die Landschaft in ein mildes Licht hüllten. Igor brauchte ein paar Momente, bis ihm klar wurde, dass ihn nicht nur die Anzahl der Monde, sondern noch etwas irritierte. Ja, ein Mond war rund, aber der Andere, der war ein längliches Dreieck.
Jetzt begann er zu glauben, dass er wirklich nicht mehr auf der Erde war. Das erste sichtbare Zeichen einer Veränderung.
„Tulcinea, was hat es mit diesem Mond da auf sich?“, rief Igor, um den Urwald zu übertönen.
„Das ist ‚KA Preiswert‘. Ein Mond, der vom Volk der Naali bewohnt wird.“
„Ein komischer Name für einen Mond und warum ist er nicht rund?“
„Der Mond ist eine alte Raumstation und der Name steht auf dem Rumpf. Er ist mit einem Teleskop gut lesbar angebracht. Darum gab es keine Diskussion, wie wir ihn nennen sollten, als er auftauchte.“
„Er ist aufgetaucht und war nicht schon immer da? Eine Raumstation? Wer sind die Naali?“
„Lieber Igor. Das sind alles berechtigte Fragen und du wirst auf alles deine Antworten bekommen. Jemanden wie dich können wir hier gut gebrauchen. Du wirst uns nicht nur helfen, das Wissen der Erde gut zu übernehmen, sondern auch mit deiner Neugier und Denkweise viel auf Arca-Nihil bewirken.“ Tulcinea sah Igor ganz verliebt an. „Es ist so schön wieder daheim zu sein“, sagte sie mehr zu sich als zu den Anderen. „Und schau – ein wenig rechts von den beiden hellen Sternen da oben, da ist die Milchstraße zu sehen.“ Sie gab Igor einen Hauch von einem Kuss auf die Wange und lächelte ihn an.

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