ANA1-1 Metallurge

ANA1 Ukraine Igor
Kategorie: Story Autor: ANirgends

„Russe, heh?“ Die Frage war wohl nicht freundlich gemeint. Igor erreichte kurz vor Mitternacht Mariupol am Asowschen Meer. Eine alte Hafenstadt, erbaut von den Griechen und immer noch mit einer griechischen Minderheit, die aber inzwischen auch eher Russisch und Ukrainisch sprach.
So viel hatte Igor noch in Moskau gegoogelt und auch, dass die Statue ‚Metallurge‘ ein Wahrzeichen der Stadt sei. Als er nun hier bei der Statue ankam und die drei Herren am Straßenrand angesprochen hatte, war seine Erwartung, oder besser gesagt seine Hoffnung eigentlich gewesen, den Weg zum Park Hotel zu erfahren.
Aber nein, der Stämmigere, glattrasiert und kahlköpfig, mit der Brechstange in der Hand, hatte eher rüpelhaft nach seiner Nationalität gefragt.
Das genuschelte „Warum sollte ich? Ich doch nicht.“ überzeugte den Glattrasierten wohl nicht und er kam näher.
„Siehst aber wie einer aus.“, klang nicht gut.
Und: „Warum fragt so einer nach dem feeeeinen Park Hotel?“
„Will wohl baden gehen, heh?“
Igor machte sich ein wenig Sorgen und stotterte ein paar beschwichtigende Dinge wie „Ich kann doch gar nicht schwimmen“ (was gelogen war) oder „Seid lieb und ich zahl euch auch einen Wodka.“
Er erkannte nun, dass er die falsche Verhandlungstaktik gewählt hatte, da der Bursche mit der Narbe auf seine Motorhaube sprang und von dort auf die Windschutzscheibe spuckte. Der dritte, unauffälligere Typ zog bedächtig ein Klappmesser aus der recht modischen und sauberen Hose.
Die brauchen das einfach, dachte Igor bei sich, fasste aber trotz der bedenklichen Situation Mut, weil er etwa 50 Meter entfernt eine Polizeistreife im Schatten eines Alleebaumes stehen sah. Wenn ich sie auf die Lage aufmerksam mache, kommen sie her und diese drei Halbwüchsigen verschwinden! So setzte Igor seine Gedanken fort.
Er war wohl ein wenig zu viel in Gedanken über seine baldige Rettung versunken, weil ihn das metallische Scheppern überraschte. Der ‚Glatzkopf‘, wie er ihn für sich im Geiste nannte, hatte, während Igor nach rechts, Richtung Polizeiauto geschaut hatte die Brechstange angehoben und damit mächtig auf die Kühlerhaube geschlagen. Für die Macht des Aufpralls und das laute Krachen war die Beule gar nicht so groß. Gute alte Qualitätsautos, dachte Igor. Ein neues Auto hätte da Plastik und das wäre sicher zersprungen. Der Glatzkopf schaffte noch drei weitere Hiebe mit seinem Schlagwerkzeug, dann war Igor aus dem Auto raus und schrie aus Leibeskräften. Er schrie so laut, dass es den Dreien in den Ohren rauschen musste. Sie waren derart überrascht und erschrocken, dass sie ihre Beine in die Hand nahmen und davonliefen. Davonliefen, verfolgt von einem aus voller Kehle schreienden Igor mit vor Anstrengung feuerrotem Kopf.
Nach etwa 200 Meter Flucht besannen sich die Drei, dass sie in der Überzahl waren und stoppten ihren Lauf. Sie drehten sich um, einer die Brechstange locker in einer Hand haltend, damit auf die andere Hand leicht schlagend, der Andere, Elegantere ein Messer in der Hand haltend und der Dritte, mit der Narbe frech grinsend. Das Grinsen verging ihnen schlagartig. Die drei blieben wie auf Kommando ganz ruhig stehen, auf die Mündung einer gut geölten Glock starrend, welche Igor gekonnt in der einen ausgestreckten Hand vor sich hielt, mit der anderen Hand gestützt und ungefähr auf die Drei vor ihm gerichtet.
„Nur weil ich vielleicht ein Russe bin, müssen wir nicht gleich streiten“ meinte Igor deeskalierend. „Dieser ganze Konflikt um den Donbass ist mir sehr unangenehm und ich finde, Grenzen muss man einhalten. Da bin ich ganz bei euch.“
Nachdem seine Kontrahenten auch nach diesen beruhigenden Sätzen keine Anstalten machten, zum Fortgang des Dialogs beizutragen, fragte Igor sie, wo denn nun das Park Hotel sei. Er bekam vom Vernarbten eine gute Auskunft und ließ sie dann von Dannen ziehen.
„Eine gute Ausbildung ist das Wichtigste im Leben!“, rief Igor ihnen noch gutmeinend nach und ging sehr, sehr erleichtert zurück zu seinem Auto.
Dort standen mittlerweile zwei Polizisten. Einer von Ihnen steckte gerade einen Zettel hinter den rechten Scheibenwischer. Der Andere rauchte gemütlich eine Zigarette.
„Ist das ihr Auto?“, fragte der rauchende Polizist gelangweilt.
„Ja, ich wurde hier gerade von drei Halbwüchsigen überfallen. Sie haben meine Motorhaube…“ antwortete Igor, wurde aber von dem zettelsteckenden Polizisten unterbrochen.
„Wir wollen keine Lebensgeschichten hören. Wir sind im Dienst und in dieser unruhigen Zeit sehr beschäftigt.“ wurde er zurechtgewiesen.
„Ausweis, Papiere, Visum, und so weiter“ herrschte ihn der Exekutivbeamte weiter an.
„Der Strafzettel ist übrigens wegen unerlaubten Parken im Kreisverkehr“
„Aber ich…“, wollte Igor anfangen, wurde aber abermals unterbrochen und aufgefordert sich endlich auszuweisen.
„Hm, aus Moskau. Reporter, soso. Und eingeladen von der jüdischen Vereinigung für Meeresbiologie, wo er Freunde hat. Interessant.“
Igor versuchte alles zu erklären und darzulegen, dass er rein beruflich hier sei und es keinen Anlass gäbe, an seiner Rechtschaffenheit zu zweifeln. Während er auf diese Art die Polizisten immer mehr zu langweilen schien, fiel ihm nebenbei ein, dass sie, falls sie es bemerkt hatten, mit keinem Wort seine Waffe erwähnten. War es schon so schlimm, dass sogar die Polizei davon ausging, dass hier sowieso jeder bewaffnet sei?
„Da werden wir wohl mal aufs Revier müssen. Das kann schon ein paar Tage dauern, bis das vom Polizeipräsidium abgezeichnet ist.“
Jetzt dämmerte es Igor. Wie dumm von ihm.
„Kann es sein, dass ich vor ein paar Jahren mal mit ihrem Vater zu tun hatte?“, fragte Igor und setzt fort mit „Wie geht es ihm und der Familie so?“.
„Naja, war schon besser.“, antwortete der Polizist. „Mutter muss Medikamente nehmen und die sind echt teuer. Der Arzt verlangt 1300 Griwna für eine Packung und die reicht nicht mal drei Wochen. Wie soll man das denn bezahlen?“
„Ach, das ist aber wirklich schlimm. Wie kann man nur braven Bürgern so viel Geld für lebensnotwendige Medikamente abknöpfen? Das ist ja fast schon Erpressung.“ Igor redete sich richtig in Rage.
„Wissen sie was – ihr Vater war so ein guter Kamerad und Freund. Hier sind 5000, nein, hier sind 8000 Griwna. Kaufen Sie ihrer lieben Mutter ganz viel von dieser Medizin und richten sie ihrem Vater doch bitte alles Gute von mir aus.“
Igor nahm acht große Scheine aus seiner linken Innentasche und gab sie dem Polizisten, mit dem er gesprochen hatte. Beide Polizisten nickten freundlich, verabschiedeten sich mit netten Worten und wünschten noch einen guten Aufenthalt in Mariupol.
Igor setzte sich ins Auto, startete den Motor und fuhr ein Liedchen pfeifend die dritte Ausfahrt vom Kreisverkehr ab, Richtung Park Hotel, sich selbst im Geiste lobend, dass er die Bestechungssumme so gut geschätzt hatte und nicht gar zu viel ausgegeben hatte.

Previous Post Telegrafenamt Next Post