ANA2 - Marjeka - Strand

ANA2
Kategorie: Story Autor: ANirgends

Heute war Sesostag, der mittlere Tag der Woche und normalerweise ein arbeitsfreier Tag. Nach Kalender war es der 111.Y55.ANZ. Genau 45 Tage vor dem berüchtigten BANKfeiertag, wo sie ihr Geld umtauschen mussten, um es um 5 % zu entwerten. Nicht meine Baustelle, dachte Marjeka bei sich und streifte sich die Unterwäsche vom Körper. Marjeka war keine Schönheit. Kritiker würden sie als etwas mollig bezeichnen. Ihr Gesicht war unauffällig und die schulterlangen braunen Lockenhaare etwas fettig und ungepflegt. Aber wenn man sie nackt sehen würde, würde man sie schon als recht weiblich und erotisch bezeichnen. Da sich aber im Moment niemand außer ihr am kleinen Strand der Krabbenbucht befand, konnte man diese Betrachtungen als rein hypothetisch zur Seite legen. Marjeka band ihre Haare mit einem kleinen Stück Stoff zu einem Zopf, befestigte eine kleine Ledertasche an ihrer Hüfte und nahm ein großes Küchenmesser zwischen die Zähne. So ausgestattet ging die Amazone, ihre nackten Zehen in den feuchten Sand drückend langsam in das seichte Wasser.
Einmal Marine, immer Marine dachte sie grimmig und erinnerte sich an die harten Tage im Ausbildungslager auf Hawaii. Bis zu drei Minuten musste sie damals unter Wasser verharren und dabei Minenattrappen entschärfen, oder Sprengsätze an dafür vorgesehenen Punkten anbringen. Ja, sie war immer schon hart im Nehmen gewesen und das hier war eigentlich eine Kleinigkeit. Das Wasser war warm, die Sicht unter Wasser gut und sie fühlte sich im kühlen Nass gleich sehr wohl. Aber sie konnte nicht vergessen, dass Bruder Tom ihr zwei Dinge zur Krabbenbucht erzählt hatte. Erstens, dass es in den der Krabbenbucht vorgelagerten Felsen Korallenriffe gäbe. Korallenriffe, in denen sich Muscheln befanden, die sogenannte ‚Blaue Perlen‘ produzierten. ‚Blaue Perlen‘ waren neben anderer Reagenzien stark begehrte und teure, geisteserweiternde Substanzen, mit welchen psionisch begabte Personen auf AN wunderbare Dinge anstellen konnten. Darum waren diese Reagenzien sehr gefragt und eben auch sehr wertvoll. Zweitens gab es auf Devenport Island keine Perlentaucher, was angeblich daher kam, dass nahe der Krabbenbucht eine Sippe Riesenkrabben leben sollte, die mit den Menschen Tauschhandel betrieb. Das klang zwar etwas abstrus, aber leider, all das berücksichtigend was in letzter Zeit so in Marjekas Leben vorgekommen war, konnte sie den Wahrheitsgehalt zu dieser Aussage nicht ganz ausschließen. Aus diesem Grund war sie trotz warmen Wassers und guter Sicht etwas nervös und recht umsichtig im Meerwasser unterwegs. Sie wollte ja keinen Riesenkrabben begegnen. Immer wieder den Kopf zum Navigieren aus dem Wasser hebend, entfernte sie sich vom Strand. Zuerst etwa hundert Meter ins offene Meer hinaus, um dann zu beginnen, die Steilküste entlang zu schwimmen und abzutauchen. Der Meeresboden war vom Strand weg nur ganz langsam abgefallen. Jetzt, etwa 100 Meter von der Küste entfernt, lagen die Korallenstöcke, welche auf dem teils felsigen, teils sandigen Meeresboden wuchsen, immer noch lediglich fünf bis zehn Meter unter der Wasseroberfläche. Marjeka konnte eine traumhaft schöne Welt der maritimen Vielfalt bewundern. Korallen in allen Farben glänzten und schimmerten unter ihr im durch das Wasser dringenden Sonnenlicht. Und Myriaden kleine und größere Fische bewegten sich dazwischen hin und her. Vereinzelt sah sie am Sandboden Seesterne, Seegurken, Langusten und hin und wieder eine Muräne. Auch ein kleiner Riffhai ließ sich einmal blicken. Nachdem sie etwa 30 Minuten mit dem Anblick dieser Vielfalt verbracht hatte, begann sie nach Muscheln zu suchen. Es gab natürlich Unmengen kleiner und kleinster Muscheln, die sich an Felsen und Korallen festgemacht hatten, aber Marjeka interessierte sich für größere Exemplare. Zweimal wurde sie fündig, tauchte zu den Muscheln hinunter, durchtrennte geschickt deren Schließmuskel mit dem mitgebrachten Küchenmesser, hievte den Deckel auf und suchte im Muschelinneren nach den geheimnisvollen blauen Perlen. Aber in beiden Fällen musste sie nach getaner Suche erfolglos an die Oberfläche zurückkehren und prustend nach Luft schnappen.
Diese Muscheln maßen zwar etwa einen halben Meter in der größten Ausdehnung, sahen aber recht gewöhnlich aus. Zu gewöhnlich für derart Besonderes wie blaue Perlen urteilte Marjeka und ließ ab jetzt Sichtungen derartiger Riesenmuscheln unbeachtet an sich vorbeiziehen. Langsam entfernte sie sich noch weiter von der Küste. Etwas Tiefblaues zog sie an und ein paar kräftige Schwimmstöße später erkannte sie, was dieses dunklere Blau zu bedeuten hatte. Der Meeresboden brach unter ihr abrupt ab und eine Steilwand führte in für sie nicht mehr erkennbare Tiefen hinunter. Sehr tief unten sah sie schemenhaft Schatten durch das Wasser gleiten. Waren das große Haifische? Jedenfalls keine kleinen Zierfischchen wie vorher am Riff. Marjeka tauchte auf, hyperventilierte eine Weile, um den Sauerstoffgehalt ihres Blutes zu erhöhen, holte noch einmal tief Luft, drehte sich im Wasser, Kopf nach unten und stieß mit aller Kraft in die Tiefe vor. Ihr Ziel war es, die ersten zwanzig bis dreißig Meter der Steilwand zu untersuchen. Also tauchte sie so tief sie konnte dem dunklen Blau der Tiefsee entgegen. Dabei entlastete sie alle paar Tiefenmeter immer wieder Nasenhöhlen und Ohren durch Druckausgleichübungen. Bei derartigen Tiefen musste man das bis zu zehnmal machen, erinnerte sie sich. Trotzdem baute sich ein enormer Druck in ihrer Stirn auf. An der linken Stirnseite spürte sie ein starkes Stechen. Ein paar Meter tiefer löste sich das Stechen, als eine vermutlich durch Nasenschleim blockierte Nebenhöhle dem Druck nachgab und sich öffnete. Für Marjeka deutlich spürbar drang Luft in diese Kammer ein und so ließ der schmerzhafte Unterdruck nach. Es wurde finsterer um sie herum. Als sie ihren Abstieg beendete und den Kopf wieder nach oben pendeln ließ, blickte sie ehrfürchtig in Richtung Wasseroberfläche. Dort oben war es hell und ein Schwarm silberner Fische, eventuell Barracudas, zog immer wieder abrupt die Richtung ändernd etwa zehn Meter über ihr hinweg. Einzelne Sonnenlichtstrahlen drangen durch das Wasser, weil die meisten an feinen Partikeln reflektiert wurden und so funkelte das Wasser mal hell und mal dunkel, wie an einem sonnigen Tag, wo viele kleine Wolken von einem starken Wind über das Land geblasen wurden und für den Betrachter Licht und Schatten schnell wechselnd auftraten. Nach diesem Moment der Andacht, begann sie ihre Suche nach Muscheln. Die Steilwand war voller Leben. Wieder gab es Korallen aller Art. Und unterschiedlichste Fische. Diesmal auch größere. Ein paar Napoleonfische, Lionfische und andere ihr nicht so bekannte Gattungen. Zwischen den Korallen und Gorgonien, welche an der Steilwand zuhauf vorkamen, entdeckte Marjeka auch einige für sie neue Muschelarten. Eine Sorte stach ihr ins Auge. Diese hatte eine leicht bläuliche Oberfläche und die Membran war wellenförmig. Sie hatte noch etwas Luft. Darum näherte sie sich an einer Stelle der Steilwand und steckte das breite Küchenmesser behutsam in die Membranöffnung einer dieser bläulichen Muscheln. Die Muschel versuchte sich instinktiv zu schließen, wurde aber vom Messer blockiert. Marjeka griff mit drei Fingern ihrer freien Hand in die fleischige Öffnung der Muschel und tastete im Inneren nach einem festen Körper suchend herum. Das Ganze war extrem spannend und Marjeka zitterte am ganzen Körper vor Anstrengung und Aufregung. Mit einer Hand ergriff sie eine feste Koralle und zog mit einem kräftigen Ruck das feststeckende Messer aus der Muschel heraus. Das Messer nahm sie in den Mund und begann nun mit einem schnellen Aufstieg durch kräftige Schwimmbewegungen von Füßen und Händen. Total außer Atem und sichtlich erschöpft erreichte sie die Wasseroberfläche und atmete minutenlang heftig, dabei immer wieder Wasser spuckend.
So ein langes und tiefes Abtauchen war für sie extrem anstrengend. Aber, nachdem sie jetzt diese Muscheln entdeckt hatte, wollte sie auch Beute machen. Nicht umsonst war der Lederbeutel an ihrer sonst nackten Hüfte. Da war Platz für viele blaue Perlen. Nachdem sie sich ein wenig erholt hatte, begann Marjeka wieder mit dem Hyperventilieren und tauchte danach mit kräftigen Stößen erneut in die Tiefe des Ozeans.
Wäre sie nicht so fokussiert auf die Anstrengung des Tauchganges gewesen, hätte sie eventuell noch eine Möglichkeit gehabt, ihren Häschern zu entkommen. So aber kreisten ihre Gedanken darum, möglichst effizient abzutauchen und so viel Zeit wie möglich an der Steilwand verbringen zu können. Sie schaffte es derart fokussiert auch drei Muscheln zu untersuchen. Leider aber bei allen dreien, ohne fündig zu werden. Als sich danach aufgrund der langen Zeit unter Wasser schon ihre Sinne zu trüben begannen und der Sichtkanal auf den Weg nach oben begrenzt war, erkannte sie nicht, dass keine zehn Meter neben ihrem Aufstiegspunkt viele Stielaugen auf sie gerichtet waren.

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