ANA1-6 Werkstatt

ANA1 Igor Ukraine
Kategorie: Story Autor: ANirgends

Igor hatte sich eines seiner Freizeithemden übergezogen und sah jetzt mit seinem hellblauen Sonnenhut und dem bunten, geblümten, kurzärmeligen Hemd mehr wie ein lächerlicher deutscher Tourist auf Mallorca aus als wie ein in geheimer Mission tätiger Privatdetektiv. Aber das war ihm im Moment auch recht. Er wollte unbedingt harmlos aussehen und schlenderte den Boulevard Richtung Hafen entlang. Auf der großen Durchzugsstraße donnerten gerade Lastwagen mit angehängten Feldhaubitzen und etliche Schützenpanzer der regulären ukrainischen Armee vorbei. Die Gesichter der Soldaten waren zumeist jung und wirkten stolz, waren aber auf den zweiten Blick hin auch ängstlich. Es war hinlänglich bekannt, dass die ukrainische Armee zwar zahlenmäßig den Aufständischen überlegen war, diese aber besser ausgerüstet waren und mit hoher Wahrscheinlichkeit von russischen Spezialeinheiten unterstützt wurden. Wie auch sonst wäre es möglich, dass die Armee derart große Verluste zu Land und in der Luft in diesem Bürgerkrieg hatte. Das wussten diese Soldaten und das dämpfte die Euphorie über den bevorstehenden Einsatz, sofern überhaupt eine vorhanden gewesen war.
Zwei Armeehubschrauber waren in der Ferne zu sehen. Hier im Hinterland waren sie sicher. Aber an der Grenze gab es moderne Flugabwehrbatterien vom Typ Buk. Diese waren dazu in der Lage, fast jede Art von Flugzeug vom Himmel zu holen. Und Igor war nach wie vor davon überzeugt, dass sein neuer Bekannter Iwan ein russischer Spezialist war, der die Rebellen mit diesen Geräten trainieren sollte. Wie konnte man das herausfinden? Und warum war es von Bedeutung? Ging es nicht um den Betrug an dessen Frau? War Igor nicht deswegen hier, im heißen Süden Russlands, äh, Neurusslands, nein, der Ukraine natürlich?
Igor musste sich eingestehen, dass ihm das Frühstücksgespräch in Kombination mit der Mittagshitze mental arg zusetzte und seine klare Planung durcheinander gekommen war.
Die meisten Eindrücke einer in Frontnähe befindlichen Stadt ignorierend und eine alte Oma fast zu Sturz bringend, kam er nun bei einer großen und recht modern ausgestatteten Werkstätte an. Es gab eine Ausstellungsfläche für Gebrauchtwagen, ein paar auf Podesten stehende Neuwagen und dahinter eine große Werkstätte mit fünf, nein sieben Einfahrten. Alle waren weit offen, damit ein wenig Wind das Arbeiten für die Mechaniker erträglicher machen konnte. Auf den Hebebühnen befanden sich unterschiedlichste Vehikel – ein Kommandofahrzeug der Armee, ein Mercedes, ein prächtiger Land Rover, und, und, und, aber kein Lastwagen. Hier sollte der Laster mit dem Gold im Tank für seine Weiterfahrt aufgepäppelt werden, aber er war nicht da. Mechaniker gab es auch keine zu sehen, weil die alle gerade Mittagspause zu machen schienen.
Also sah sich Igor ein wenig auf dem Gelände um und fand tatsächlich einen bulligen, verstaubten, schweren Laster mit russischem Kennzeichen. Die Planen hinten waren festgezurrt. Igor ging mehrmals um den Laster herum, stieg auf das Trittbett, um in die Fahrerkabine schauen zu können und ging wieder ein wenig auf Distanz. Der Laster war enorm – sehr stabil, große Tanks, Allradantrieb, schwere Reifen, mehrere Reservereifen außen montiert, eine große Fahrerkabine, in der man gut übernachten konnte, etc. Ein Fahrzeug fürwahr, um große Distanzen in entlegenen Gebieten zu überwinden.
Igor begann an den Bändern zu hantieren, welche die Planen sicherten, löste ein paar davon und warf einen Blick durch die kleine dadurch entstandene Öffnung auf die Ladefläche. Es war sehr dunkel dort, weil sein Kopf fast die ganze Öffnung ausfüllte und ansonsten nur durch ein paar kleine Ritzen Licht in das Innere des Laderaumes drang. Aber Igor sah die Umrisse etlicher Kisten, eine ganze Reihe Benzinkanister, Werkzeuge und…
Ein tiefes Knurren ließ ihn vom Kotflügel des Lasters zurück auf den Boden gleiten und sich misstrauisch langsam rückwärts drehen. Dort hinter sich sah er in etwa zehn Meter Entfernung Benno den Hirtenhund stehen und ihn argwöhnisch mit seinen Knopfaugen ansehen. Igor war kein Hundeflüsterer, aber die Körperhaltung und der Gesichtsausdruck Bennos ließen ihn langsam rückwärtsgehend das Umfeld um den Laster verlassen. Benno machte keinen Mucks mehr, ließ aber Igor nicht aus den Augen, bis dieser in den Büroraum der Werkstätte verschwunden war.
„Mahlzeit“, sagte der Fliehende etwas verlegen zu den beiden Männern am dort befindlichen Bürotisch. Die Männer aßen Jausenbrote und tranken Wodka aus einer Flasche.
Der Ältere meinte: „Der Laster ist fertig. Bist du zum Zahlen da?“
Er schien ihn als Teil des Teams vom Laster zu halten. Das musste er nutzen.
„Nein, ich wollte nur noch mal checken, ob ihr auch alles gemacht habt, was notwendig war. Gab es Probleme? Ist alles erledigt?“
„Sicher doch. Nur haben wir die Platten mit Schienen verstärkt, weil durch die Breite des Lastwagens sonst der doppelte Boden zum Schwingen gebracht werden könnte. Das kostet extra. Und die verschließbaren Fächer sind doch nicht so groß geworden, wie im Plan angegeben war. Da können wir aber nichts dafür. Der Plan war nicht genau genug.“
„Ah ja, ich werde das ausrichten. Lasst es euch noch schmecken. Ich gebe Bescheid. Auf Wiedersehen!“ grummelte Igor.
„Auf Wiedersehen! Bis zum Abend ist der Laster weg und die Arbeit bezahlt!“ forderte der Alte noch nicht unfreundlich von ihm und wandte sich wieder seinem Kollegen zu, um über Politik zu reden.
Igor überlegte, wie er die Informationen vom Werkstattmeister möglichst unverfänglich an die dafür vorgesehene Adresse weiterleiten konnte, ohne dass von seinem Ausflug etwas bekannt würde.
Er sprach einen herumlungernden Jugendlichen an, bat ihn für ein Trinkgeld ins Park Hotel zu gehen und an der Rezeption bekanntzugeben, dass Herr Iwan, bzw. Frau Tulcinea den Lastwagen abholen könnten, da dieser anscheinend früher als erwartet fertig geworden sei. Mit sich zufrieden gönnte er sich danach ein kleines Nickerchen.

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