ANA1-15 Grenzkontrolle

ANA1
Kategorie: Story Autor: ANirgends

Igor saß angespannt auf der Rückbank und beobachtete das ihm inzwischen recht bekannte Schauspiel, welches Tulcinea bei Kontrollen, besonders bei Grenzkontrollen, aufzuführen pflegte. Sie hatte sich dezent geschminkt, um die Grenzer für sich einnehmen zu können, sprach etliche Komplimente aus und verteilte wie beiläufig wertvolle Geschenke an alle Beteiligten. Das war hier an der russisch-kasachischen Grenze überraschend aufwändig, weil gleich zwei Unteroffiziere und drei niedere Grenzer zu bestechen waren. Tulcinea verteilte ihre Aufmerksamkeit und Gaben geschickt auf alle, darauf achtend, dass die Unteroffiziere deutlich besser abschnitten, aber auch die normalen Grenzer überdurchschnittlich gut bedient wurden. So wechselten stangenweise Zigaretten, Zigarren, Spirituosen und Geldkuverts ihre Besitzer. Nach einer rudimentären Kontrolle von Reisedokumenten, Ladungspapieren und Ladung schien alles geregelt und Iwan war gerade dabei den Motor anzuwerfen, als mit einem befehlsgewohnten „Halt“ ein weiterer Akteur aus dem Zollgebäude auf der Bestechungsbühne erschien.
„Halt, was geht hier vor?“ es pflanzte sich ein grimmig dreinschauender Offizier vor seinen beiden Unteroffizieren auf und ließ sich von diesen berichten, dass die Kontrolle gerade zur vollsten Zufriedenheit abgeschlossen worden war.
„Wohl zu ihrer PERSÖNLICHEN Zufriedenheit!“ brüllte sie der inzwischen recht aufgebrachte Offizier daraufhin an und sah wutschnaubend von Unteroffizier zu Unteroffizier und danach zu den drei niederen Grenzern.
„Ihr hab euch da ja ordentlich einwickeln lassen. Seid ihr von Sinnen?“ der Offizier kam noch mehr in Rage.
„Ich will sofort sehen, was sich im Laster befindet. Und ihr kommt sofort raus da“ rief er in Richtung Iwan und Igor.
Die Beiden beeilten sich seinem Befehl, nämlich genau das war es, nachzukommen und nicht noch mehr Verstimmung zu erzeugen. Tulcinea ignorierte er übrigens völlig, was dieser sichtlich unangenehm war, weil sie mehrmals vergeblich versuchte in das Gespräch einzugreifen. Aber der Offizier war einfach zu schnell und zu laut.
Während die Grenzer an den Haltegurten des Lasters zerrten, trat nun Tulcinea an die Seite des Offiziers und sprach abermals, diesmal mit gewinnender Stimme, zu ihm: „Aber lieber Herr Oberst, wir sind einfache Reisende und die Sache wird sich ganz sicher in Wohlgefallen auflösen und auch sie werden sehen, dass es für uns alle am besten ist, wenn wir uns jetzt ganz ruhig…“ weiter kam sie nicht.
Der Offizier wurde ganz rot im Gesicht, sah Tulcinea wutentbrannt an, drückte zuerst ihre Hand mit dem Geldkuvert zur Seite und gab ihr einen derart heftigen Schlag ins Gesicht, dass sie etwas zurücktorkelnd, keuchend zu Boden fiel. Am Boden liegend richtete sie sich auf einem Ellbogen auf, ihr Gesicht wirkte geschwollen und aus Mund und Nase rann ein wenig Blut.
Igor stellte voller Bewunderung fest, dass ihr Blick nicht verängstigt war. Nein, ihre Augen funkelten stattdessen gefährlich vor unterdrücktem Zorn und sie wischte sich tief durchatmend das Blut mit der freien Hand aus dem Gesicht.
Inzwischen war der Laderaum von den Grenzern geöffnet worden und der Oberst wollte einen Blick hineinwerfen, wurde aber von einem böse knurrenden Benno eines Besseren belehrt.
Der Offizier trat ein paar Schritte zurück, nestelte an seiner Dienstwaffe und zog diese eilig.
„Rufen sie den Köter zurück, sonst schieße ich. Und, das ist ja unglaublich, ich glaube es einfach nicht, das ist ja…“. Der Offizier starrte ins Innere des Lasters und hatte große ungläubige Glubschaugen bekommen.
Gleich darauf begann er in Zeitlupe auf den Boden zu sinken. Aus seinen Ohren und Augen drang ein wenig Blut.
„Es sieht so aus, als wäre eurem Oberst gerade schlecht geworden. Bringt ihn sofort in ein Badezimmer und kümmert euch um ihn“ sagte Tulcinea mit schneidender Befehlsstimme und gab den beiden Unteroffizieren noch ein dickes Päckchen Rubelscheine.
Igor fiel auf, dass Tulcinea einen starren, ins Leere schauenden Blick hatte und ja, tatsächlich waren auf ihrer Stirn viele kleine Schweißperlen. So, als ob sie sich gerade enorm angestrengt hätte.
Iwan gab Igor ein Zeichen, sie schlossen den Laderaum wieder, stiegen ins Cockpit des Lasters und fuhren ungehindert, aber mit einem mulmigen Gefühl weiter. Den ganzen restlichen Tag wurde kein einziges Wort gewechselt.

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